Ich verstehe aus meinem Mikrokosmos heraus folgende Herangehensweise nicht und das will mir auch wirklich gesellschaftlich nicht einleuchten.
Wir im Handwerk haben massive Probleme, weil das noch vorhandene Personal nach und nach überaltert und in Rente geht. Diese Probleme sind allenthalben sichtbar für jeden, der einen Handwerker braucht. Da herrschen Zustände und Wartezeiten, die man eigentlich niemandem mehr erklären kann.
Erst gestern wieder auf einer Baubesprechung der Sprinklerbauer. Es müssen 800 Sprinkler umgebaut werden, er braucht dafür mit zwei Monteuren 12 Wochen. Die Architektin so: "Na dann können wir das ja in vier Wochen schaffen, wenn Sie 6 Monteure einsetzen." Er: "Ich habe nur noch zwei und die habe ich auch nur, weil ich die mit dem Bus aus Kroatien hole, die arbeiten dann drei Wochen hier und werden dann wieder heimgebracht."
Ergo wird ein Ladengeschäft umgebaut und der Umbau dauert 8 Wochen länger (Schließungszeit, Umsatzausfall), als eigentlich notwendig.
Wir haben also bereits jetzt massive Probleme im Handwerk und die werden noch stärker. Dasselbe gilt für die Bereiche Pflege (hier brauchen wir sogar noch mehr Leute, weil die geburtenstarken Jahrgänge älter werden) und viele anderen Bereiche auch.
Dagegen gibt es die Forderungen der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer nach noch weiterer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und flexibleren Arbeitszeiten (siehe aktuell z.B. die Gewerkschaft der Lokführer).
Jetzt hinterfrage sich doch jeder mal, was passiert, wenn wir älteren (z.B. willkürlich Jahrgänge 1970 und älter) langsam in den Ruhestand gehen und die geburtenschwächeren Jahrgänge alle in einer 4-Tagewoche bei 32 Wochenstunden arbeiten. Was bedeutet das denn für die Gesellschaft? Reparaturen dauern Ewigkeiten, der Krankenhaus- und Pflegebetrieb muss massiv eingeschränkt werden, ergo Verlust der Versorgungsqualität. Es gibt keine LKW-Fahrer mehr, die die Amazon-Pakete ausliefern, der ÖPNV hat zu wenig Fahrer und muss den Fahrbetrieb deutlich reduzieren, also vollere Busse und Bahnen und längere Wegezeiten, etc..
Wenn wir also wirklich das Thema Work-Life Balance so weiter treiben wollen, dann müssen wir uns als Gesellschaft wohl damit abfinden, dass wir auch massive Einschränkungen unserer Lebensqualität in Kauf nehmen müssen. Ich hoffe, das ist all jenen klar, die für eine Viertagewoche streiken.
Den fehlenden Nachwuchs durch zugewanderte Kräfte auszugleichen gelingt uns leider derzeit als Gesellschaft nach meinen Eindrücken auch sehr schlecht. Die Integration Zugewanderter funktioniert seit Jahrzehnten nicht gut und es entstehen immer mehr Parallelgesellschaften. Deutschland ist leider kein Schmelztiegel der Kulturen mehr sondern die Kulturen leben eher nebeneinander und aneinander vorbei. Das ist natürlich keine wissenschaftliche Erkenntnis, aber mein persönlicher Eindruck mit einer Lebenserfahrung von über 50 Jahren mittlerweile.
Wir müssen uns meiner Meinung nach erst mal als Gesellschaft mal wieder darüber einig werden, dass wir verdammt noch mal alle zusammen den Hintern hoch kriegen müssen und Wiederaufbau betreiben müssen, um nur ansatzweise unsere Lebensqualität erhalten zu können. Da sind Themen wie Arbeitszeitverkürzung, Anrecht auf Homeoffice und Frühverrentung komplett kontraproduktiv.
Leider haben wir an der Schröder SPD (und ich bin wahrlich kein SPD-Wähler) gesehen, was passiert, wenn eine Regierung heiße Eisen anfasst und notwendige Reformen einleitet. Daher muss es uns vermutlich erst noch viel schlechter als aktuell gehen (ich bin übrigens der Meinung, uns geht es absolut Bombe), bevor da eine Änderung durchsetzbar ist.
Meine große Hoffnung ist immer noch, dass die Änderungen und die Einsicht ohne Bürgerunruhen kommt, leider werde ich mit dem Alter da aber immer pessimistischer.